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Bei der Impfung gegen Ebergeruch handelt es sich um ein Verfahren, die Bildung des Ebergeruchs zu verhindern, ohne die Tiere kastrieren zu müssen. Sie erfüllt die Kriterien der Lebensmittelsicherheit, der Geruchsfreiheit und des Tierschutzes.

Hintergrund[]

Jährlich werden in Deutschland rund 20–25 Millionen männliche Ferkel in der ersten Lebenswoche kastriert.[1] Dabei werden die Hoden der Tiere mit einem Skalpell chirurgisch entfernt. Die Kastration galt lange Zeit als notwendig, weil sie den Ebergeruch, einen unangenehmen Geruch und Geschmack des Eberfleisches verhindert und aggressives Beißen der Eber während der Geschlechtsreife unterbindet. Allerdings ist die Ferkelkastration mit Angst und Schmerzen verbunden, durch den schweren Eingriff und wegen der nachfolgenden Entzündung. Keime im Stall können die Wunde infizieren.

In Deutschland ist die Ferkelkastration erlaubt, aktuell auch ohne Betäubung (Stand: Mai 2016). Der allgemeine Wertewandel im Hinblick auf Tierethik und Tierwohl rückt die Forderung der Gesellschaft nach einer schmerzlosen und artgerechten Alternative in den Mittelpunkt des gesellschaftspolitischen Diskurses. Als erster Diskounter kündigte Aldi an, ab 2017 kein Fleisch kastrierter Schweine zu vermarkten.[2]

Alternativen zur Verhinderung von Ebergeruch[]

Seit einigen Jahren stehen Alternativen zur Verfügung. Das novellierte Tierschutzgesetz verbietet ab dem 1. Januar 2019 die Ferkelkastration ohne Narkose und Schmerzmittel. Laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sind dann noch drei Optionen erlaubt:

  • Impfung gegen Ebergeruch
  • Ebermast (ohne Impfung)
  • Kastration unter Betäubung und gleichzeitiger Schmerzausschaltung

Zu den Anforderungen an moderne Alternativen gegen Ebergeruch zählen:

  • Tierethik: Möglichst schmerzlos; artgerechte Haltung
  • Lebensmittelsicherheit: Ebergeruch verhindern; höchste Fleischqualität
  • Arbeitssicherheit: Aggressive Rangkämpfe und Beißen der Jungeber kontrollieren
  • Wirtschaftlichkeit: Bezahlbar für Schweinehalter und Konsumenten

Impfung gegen Ebergeruch[]

Bis 4–6 Wochen vor dem Schlachttermin wachsen die Eber als intakte Eber auf. Die Impfung gegen Ebergeruch erlaubt den Verzicht auf die Ferkelkastration. Seit einigen Jahren wird die Impfung weltweit zur Verhinderung von Ebergeruch durchgeführt. Sie ist in Deutschland und 63 weiteren Ländern zugelassen. Voraussetzung für den Erfolg ist die Beachtung des Impfprotokolls.

Ebermast (ohne Impfung)[]

Die Mast intakter Eber führt zur Zunahme der Rangordnungskämpfe und blutigen Beißattacken im Stall und beim Transport. Trotz intensiver Anstrengungen weisen noch 5–11 % des Fleisches geschlachteter Eber bei der Zubereitung einen unangenehmen Geruch auf. Daher hat sich diese Methode nicht flächendeckend durchgesetzt.

Kastration unter Betäubung und Schmerzausschaltung[]

Eine Kastration unter Narkose und gleichzeitiger Gabe von Schmerzmitteln sehen Befürworter als Fortschritt im Vergleich zur gängigen Praxis der Ferkelkastration ohne Betäubung. Die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz lehnt aus tierethischen Gründen jede Kastration ab: "Bei der Kastration nach vorheriger Narkose und oder Betäubung „bezahlt“ das Tier, auch bei zusätzlicher Schmerzmittelanwendung zur Eindämmung des postoperativen Schmerzes, den höchsten Preis: Das Handling bis zur Narkose erzeugt Ängste und einen etwa gleich hohen Stresslevel, wie die betäubungslose Kastration selbst, und dem Tier wird seine körperliche Unversehrtheit genommen."[3] Deutsche Tierärzteorganisationen kritisieren die Kastration mit Narkose und Schmerzausschaltung wegen der schwierigen Nachprüfbarkeit der Durchführung. Trotz Betäubung und Schmerzvermeidung zeigen kastrierte Ferkel wegen Stress und Wundschmerzen eine erhöhte allgemeine Krankheitsanfälligkeit. Pneumonien und chronische Entzündungen treten bei kastrierten Ferkeln häufiger auf. Die Bundestierärztekammer, der Bund der beamteten Tierärzte und der Bund der praktischen Tierärzte favorisieren aus diesen Gründen die Impfung und die Ebermast.[4]

In der „Brüsseler Deklaration“ haben Landwirtschaft, Vertreter der Fleischindustrie, Händler, Wissenschaftler, Tierärzte und Tierschutzorganisationen darüber hinaus eine Absichtserklärung formuliert, in der sie sich verpflichten, bereits Ende 2017 die chirurgische Kastration von Schweinen freiwillig zu beenden.[5]

Entstehung des Ebergeruchs[]

Jungeber verströmen mit Beginn der Geschlechtsreife einen Sexualgeruch, der die Paarungsbereitschaft der Sauen stimuliert. Dieser „Ebergeruch“ haftet auch nach der Schlachtung dem zum Verzehr bestimmten Fleisch an. Beim Erhitzen, etwa beim Braten oder Grillen, ist der Geruch besonders intensiv wahrnehmbar. Die meisten Menschen beschreiben Ebergeruch als urinartig und lehnen den Verzehr von geruchsbelastetem Fleisch als „verdorben“ ab.

Ein Eber liefert Frischfleisch für etwa 100 Haushalte. Ein geruchsbelasteter Eber kann also für viele Menschen eine äußerst unangenehme Erfahrung beim Verzehr erzeugen. Laut Lebensmittelrecht ist Fleisch als „genussuntauglich“ zu deklarieren, wenn es einen ausgeprägten Geschlechtsgeruch aufweist.[6] Mit Beginn der Pubertät kommt es beim intakten Eber zu deutlich sichtbaren anatomischen Veränderungen der Hoden und Zunahme aggressiven Beißverhaltens. Diese Veränderungen sind von Testosteron, das in den Hoden gebildet wird, verursacht. Bei der Kastration kommt es zur irreversiblen Unterbindung sämtlicher Wirkungen von Testosteron.

Die für den Ebergeruch maßgeblich verantwortliche Substanz ist Androstenon, ein Metabolit von Testosteron.

Wirkweise der Impfung[]

Datei:Impfprotokoll gegen Ebergeruch.jpg

Antikörper- und Ebergeruch während und nach der Impfung

Die Impfung gegen Ebergeruch erfordert zwei Impfungen. Beide Impfungen werden in der Mast durchgeführt.

  • Die erste Impfung hat keine Auswirkungen auf körperliche Veränderungen und Verhalten der Tiere. Die Gedächtniszellen des Immunsystems produzieren noch relativ wenige Antikörper.
  • Die zweite Impfung folgt 4–6 Wochen vor dem geplanten Schlachttermin. Die Immunzellen produzieren nun große Mengen Antikörper, welche die Bildung von Androstenon und den Ebergeruch verhindern. Gleichzeitig werden die Eber ruhiger.
  • Die Wirkung der Impfung hält etwa 10 Wochen an. Danach setzt die Hodentätigkeit wieder ein.

Fakten zur Impfung gegen Ebergeruch[]

Internationale Erfahrungen[]

Die Impfung wird seit über 15 Jahren in der Praxis eingesetzt und ist in 64 Ländern der Erde zugelassen, darunter in der EU, in den USA, Kanada, Japan, Südkorea, Australien, Thailand, Brasilien, Mexiko und Russland. In Australien werden etwa 60 %, in Brasilien etwa 50 % der Eber geimpft. Belgien impft seit 2010.[7]

Einfluss auf das Eberverhalten[]

Bei intakten Ebern sind mit Beginn der Geschlechtsreife Rangkämpfe und Beißen zu beobachten. Bis zur zweiten Impfung weist der geimpfte Eber die gleichen Verhaltensweisen wie nicht geimpfte Eber auf. Nach der zweiten Impfung werden die Tiere deutlich ruhiger, das Schlaf- und Fressverhalten ist ähnlich ausgeprägt wie bei Kastraten.[8] Das Eberverhalten bei geimpften wie ungeimpften Ebern ist bis zum Eintritt in die Geschlechtsreife nicht tierschutzrelevant.

Einfluss auf die Qualität des Fleisches[]

Die geimpfte Substanz besitzt keine eigene hormonelle Wirkung und ist kein Hormon. Der Wirkstoff wird in sehr geringen Mengen verabreicht. Hypothetische Rückstände ebenso wie Restantikörper hätten keine Wirkung beim Verzehr des Fleisches, weil diese nach oraler Aufnahme restlos zerstört würden. Deshalb besteht zwischen Impfzeitpunkt und Verwertung des Schlachtfleisches auch keine Wartezeit.

Die Impfung bringt eine verbesserte Schlachtkörperqualität im Vergleich zu Fleisch von Kastraten. Die höhere Schlachtkörpermasse, der höhere Magerfleischanteil und der höhere Anteil an wertvollen Teilstücken sind in zahlreichen Studien belegt.[9]

Akzeptanz und Unterstützer der Impfung[]

Verbraucher[]

Zahlreiche Verbraucherumfragen stellen bei Konsumenten ein geringes Wissen über das Thema Ferkelkastration fest. Die Alternativen sind kaum bekannt. Werden Konsumenten auf die Ferkelkastration angesprochen, reagiert die Mehrzahl betroffen und lehnt diese ab. Zu den Alternativen befragt, präferiert der informierte Verbraucher die Impfung, vor der Ebermast und noch deutlicher vor der Kastration mit Betäubung und Schmerzausschaltung.[10]

Deutscher Tierschutzbund und andere Tierschutzverbände[]

Der Deutsche Tierschutzbund erkennt die Impfung gegen Ebergeruch als eine von drei Alternativen zur betäubungslosen Kastration an.[11] ProVieh sieht die Ebermast und die Impfung als die zwei besten Alternativen zur betäubungslosen Kastration an.[12] Die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT) sieht in der Impfung eine „praxisreife und dem Tierschutz am meisten dienliche Alternative“.[13]

Bioverbände[]

Die Bioland-Richtlinie akzeptiert drei Alternativen zur betäubungslosen Kastration:

  1. Kastration unter Betäubung und Schmerzausschaltung,
  2. Ebermast und
  3. Impfung gegen Ebergeruch.

Aktuell sieht Naturland die Impfung als präferierte Methode.[14]

Tierärzteschaft[]

Die Deutschen Tierärzteorganisationen Bundestierärztekammer (BTK), Bund der beamteten Tierärzte (BbT), und der Bund der praktischen Tierärzte (BpT) favorisieren die Impfung und die Ebermast.[15]

Die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz setzt auf die Impfung: „Aus der Sicht der Tierethik ist die Jungebermast mit Impfung die eindeutig 1. Wahl der derzeitig zur Verfügung stehenden Alternativen zur (betäubungslosen) Kastration des Schweines.“[16]

Landwirtschaft/Fleischverarbeitungsbetriebe[]

Verbände wie die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands sehen durchaus die Möglichkeiten der Ebermast mit oder ohne Impfung.[17]
Das QS-System, gemeinsame Plattform vom Agrarbetrieb bis zur Ladentheke, befürwortet die Novelle des Tierschutzgesetzes und stellt die Impfung gleichrangig neben Ebermast und Kastration mit Betäubung und Schmerzausschaltung.[18]

Einzelhandel[]

Große Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels hatten sich bisher gegen einen Einsatz der Impfung ausgesprochen, weil sie eine mangelnde Akzeptanz des Verbrauchers befürchteten. Aldi kündigte in einer Verbrauchermitteilung an, zur „Förderung einer tierartgerechten Fleischerzeugung […] ab 2017 kein Frischfleisch von kastrierten Tieren aus der konventionellen Schweinehaltung mehr zu akzeptieren.“[19]

Edeka Südwest, Lidl und REWE kündigten an, kein Fleisch von unbetäubten kastrierten Ebern zu vermarkten.[20]

Presse/Medien[]

Die Medien berichten bisher kaum und wenn dann eher sachlich und wohlwollend über die Impfung. Pressemeldungen aus dem Lebensmitteleinzelhandel wurden von zahlreichen überregionalen Medien aufgegriffen. Auch die Fachpresse hat diese Entwicklung kommentiert.[21][22]

Literatur[]

  • T. Hügel: Überprüfung der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Impfung gegen Ebergeruch im Feldversuch, Dissertation, Tierärztliche Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München (2010) online (abgerufen am 19. Mai 2016)

Weblinks[]

Einzelnachweise[]

  1. L. M. Karpeles und C. Jäger (Landesbeauftragte für Tierschutz in Baden-Württemberg) Stellungnahme zu Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration
  2. Aldi Süd
  3. http://www.tierschutz-tvt.de/fileadmin/tvtdownloads/PM_TVT-Ferkelkastration.pdf
  4. Bundestierärztekammer: Bundestierärztekammer – Stellungnahmen der Ausschüsse. In: www.bundestieraerztekammer.de. Abgerufen am 23. Mai 2016.
  5. Bundestierärztekammer
  6. VO (EG) Nr. 854/2004; Anh. I, Abschn. II, Kap. V, Nr. 1 p)
  7. D. D’Souza, Frank Dunshea, Impact of using Improvac® on meat and carcass quality – experience from Australia, a traditional entire male producing market
  8. A. K. Albrecht, Growth performance, carcass characteristics, meat quality and behaviour of ImprovacTM-treated male pigs in comparison with intact boars and barrows, Dissertation 2011
  9. F. Schmoll et al., Growth performance and carcass traits of boars raised in Germany and either surgically castrated or vaccinated against gonadotropin-releasing hormone, in: Journal of Swine Health and Production, Volume 17, Number 5
  10. T. Sattler, F. Schmoll: Impfung oder Kastration zur Vermeidung von Ebergeruch – Ergebnisse einer repräsentativen Verbraucherumfrage in Deutschland, J.Verbr. Lebensm.(2012)7:117–123.
  11. Deutscher Tierschutzbund Ferkelkastration Alternativmethoden
  12. Provieh
  13. TVT, Beurteilung der Impfung als Alternative zur Kastration
  14. Bioland-Richtlinie und Einstiegsstufe Tierschutzlabel
  15. Beurteilung der Impfung durch BTK, BbT, TVT, BpT
  16. http://www.tierschutz-tvt.de/fileadmin/tvtdownloads/PM_TVT-Ferkelkastration.pdf
  17. top agrar 3/2011; Stellungnahme ISN zur Ebermast und ISN Kurs allgemein, 18. Mai 2015
  18. https://www.q-s.de/pressemeldungen/koordinierungsplattform-verabschiedet-eckpunktepap.html
  19. Aldi Süd.
  20. REWE Group verbannt Fleisch unbetäubt kastrierter Schweine aus dem Sortiment, www.presseportal.de.
  21. Frankfurter Rundschau Ferkelei soll ein Ende haben.
  22. Handelszeitung Vieh und Fleisch, Bericht über die Entscheidung von REWE vom 5. September 2015.
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