Encyclopædia Wiki
Advertisement

Kommunismus [englisch-französisch, zu lateinisch communis »mehreren oder allen gemeinsam«, »allgemein«] der, -, politisch-ideologischer Begriff mit mehreren Bedeutungen: 1) Beschreibung einer vergangenen oder Entwurf einer zukünftigen Gesellschaft, in der das Privateigentum an Produktionsmitteln in Gemeineigentum überführt und der Konsum auf der Grundlage gemeinschaftlicher Lebensführung und allgemeiner Gütergemeinschaft geregelt wird sowie materielle und kulturelle Bedürfnisse gleichermaßen befriedigt werden; alle Mitglieder dieser Gesellschaft sollen sozial gleichwertig sein; 2) die Gesamtheit der ökonomischen und politischen Lehren, die mit dem Ziel der Errichtung einer kommunistischen Gesellschaft auf der Grundlage der Theorien von K. Marx und F. Engels (Marxismus) von Lenin (Marxismus-Leninismus) und seinen Nachfolgern umgeformt und weiterentwickelt wurden; 3) Bezeichnung für politische Parteien (kommunistische Parteien), Bewegungen und Herrschaftssysteme (Selbstbezeichnung »real existierender Sozialismus«), die diese Lehren auf diktatorische Weise in die Praxis umsetzen. Häufig ist eine verbindliche Abgrenzung zwischen den Begriffen Kommunismus und Sozialismus nicht oder nur sehr schwer möglich.

Entwürfe für eine kommunistische Gesellschaft gibt es seit der Antike (Kommunismus der Wächter- und Philosophenelite in Platons »Politeia«, Praxis der urchristlichen Gemeinden). Christliche Vorstellungen, in denen das Reich Gottes auf Erden vorweggenommen wurde, prägten mittelalterliche Sekten (Katharer, Waldenser) sowie Gruppierungen am linken Flügel der Reformation und die Täufer von Münster. Am Anfang der Reihe großer Utopisten des 16. und 17. Jahrhunderts steht T. More, der mit seinem Werk »De optimo reipublicae statu deque nova insula Utopia« der gesamten Denkrichtung (Utopie) ihren Namen gab; weitere Vertreter sind T. Campanella (»Der Sonnenstaat«) und F. Bacon (»Neu-Atlantis«). Zu Beginn der Französischen Revolution entwarf F. N. Babeuf das Prinzip der »radikalen Demokratie«, einer Volksdiktatur, die den Kommunismus erzwingen werde. Babeufs Ideen wurden 1828 durch F. M. Buonarroti neu belebt und von L. A. Blanqui zu einem voluntaristischen Programm des bewaffneten Aufstands weiterentwickelt, das für die spätere kommunistische Bewegung wichtig werden sollte. Im Gefolge der Französischen Revolution suchten C. H. de Saint-Simon, C. Fourier und R. Owen eine Gesellschaftsform zu entwerfen, die den neuen Anforderungen von Wirtschaft und Industrie angemessen sein und dabei soziale Harmonie schaffen sollte. Um 1840 tauchte in Frankreich erstmals das Wort Kommunismus auf und fand sofort allgemeine Verbreitung. So trat É. Cabet offensiv als Propagandist kommunistischer Ideen auf. Cabet, Fourier und Owen gründeten mehrere Mustersiedlungen in Nordamerika, scheiterten aber damit. Unmittelbare Vorläufer von Marx und Engels sind W. Weitling und M. Hess. Weitling unternahm den ersten bedeutenden Versuch, eine (mit der christlichen Botschaft gleichgesetzte) geldlose, zentral geplante Gütergemeinschaft durch eine proletarische Revolution herbeizuführen. Hess verband den französischen Kommunismus mit dem junghegelianischen Idealismus zu einer »Philosophie der Tat« und übte damit große Wirkung auf die radikale Intelligenz aus, nicht zuletzt auf Engels. wissenmedia, Gütersloh

1847 wurde in Brüssel der »Bund der Kommunisten« gegründet, als dessen Mitglieder Marx und Engels das 1848 erschienene »Kommunistische Manifest« verfassten. In der Arbeiterbewegung, die in verschiedenen west- und mitteleuropäischen Ländern im Zuge der industriellen Revolution entstand, wurden einige der darin entwickelten Gedanken aufgegriffen. Marx und Engels vertraten die Auffassung vom Klassenkampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie und dem revolutionären Sieg des Proletariats. Durch die Beseitigung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und die zeitweise, inhaltlich nicht näher bestimmte Diktatur des Proletariats sollte jede Klassenstruktur überwunden, d. h. nicht nur die Emanzipation des Proletariats, sondern die aller Menschen von sämtlichen ökonomischen sowie politischen, sozialen und religiösen Zwängen erreicht werden.

Unter Kommunismus verstanden beide den langen, aber realen Weg, die »wirkliche Bewegung«, zur Überwindung der durch Ausbeutung und Selbstentfremdung gekennzeichneten bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft und zur allmählichen Herstellung einer die allseitige menschliche Selbstverwirklichung ermöglichenden Zukunftsgesellschaft. Engels' Voraussage, dass in ihr der Staat »absterben« werde, und Marx' wie Engels' Annahme einer als »Assoziation« beziehungsweise »Verein freier Menschen« organisierten kommunistischen Zukunftsgesellschaft, die auf einer zentralen und freiwilligen Planwirtschaft beruhe, blieben ebenso vage wie die Unterscheidung von zwei Phasen der kommunistischen Gesellschaft: einer »niederen«, die noch nach dem Leistungs- und damit ungleichen Verteilungsprinzip, sowie einer »höheren«, die nach dem Bedürfnisprinzip gestaltet sei. Wichtig sind jedoch die politischen Spätfolgen: Unter Berufung auf Marx, der, entsprechend dem damaligen allgemeinen Sprachgebrauch, Sozialismus und Kommunismus teilweise synonym verwendete, wurde in der UdSSR und den nach ihrem Gesellschaftsmodell geformten Staaten die erste dieser beiden Phasen offiziell als die des Sozialismus, die zweite als die des Kommunismus bezeichnet. Mit Lenin wurde die Schaffung, d. h. Erziehung eines neuen Menschentyps zum wesentlichen Bestandteil kommunistischer Politik.

Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen Parteien der Arbeiterbewegung in West- und Mitteleuropa – von denen sich im Übrigen keine »kommunistisch« nannte – sahen sich aktuellen tagespolitischen Fragen gegenüber. In der deutschen Sozialdemokratie erhielt eine reformerische Praxis innerhalb des gegebenen politischen Rahmens den Vorrang vor einer an der Errichtung der sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung ausgerichteten Politik. Die Entwicklung ging v. a. auf den Einfluss der Gewerkschaften zurück. Der Parteivorsitzende A. Bebel beschäftigte sich allerdings mit der sozialistischen Zukunftsgesellschaft, die mittels planmäßiger Produktion und einer Verteilungsform nach dem Grundsatz »Jedem nach seinen Bedürfnissen« organisiert werden könne. Auf marxistischer Basis formulierte K. Kautsky im ersten Teil des Erfurter Programms der SPD (1891) die grundsätzliche Kritik an der damaligen Gesellschafts- und Staatsordnung, während in den von E. Bernstein entwickelten tagespolitischen Forderungen im zweiten Teil des Programms die bestehenden Institutionen anerkannt wurden. Bernstein wurde zum Wortführer des Revisionismus, der aus der Kritik an der Theorie und den Prognosen von Marx und Engels heraus der Sozialdemokratie eine auf die Gegenwart bezogene Ausrichtung zu geben suchte. Auf dem Dresdner Parteitag (1903) noch von der Mehrheit verworfen, wurde der Revisionismus mit dem Görlitzer Programm (1921) zur theoretischen Grundlage der Mehrheitssozialdemokratie, nachdem in der Praxis der Marxismus bereits vielfach aufgegeben worden war. Am 31. 12. 1918/1. 1. 1919 wurde die Kommunistische Partei Deutschlands gegründet.

Die Anarchisten (Anarchismus) hingegen hielten an der Konzeption einer kommunistischen Zukunftsgesellschaft ohne Staat und Planwirtschaft fest. M. A. Bakunin forderte die Bildung freier industrieller und landwirtschaftlicher Assoziationen auf der Grundlage vergesellschafteter Produktionsmittel. 1880 wurde der »kommunistische Anarchismus« proklamiert, dessen bedeutendster Theoretiker P. A. Fürst Kropotkin wurde.

Die vormarxistische revolutionäre Bewegung in Russland stand bis in die 1880er-Jahre hinein nahezu gänzlich im Zeichen einer Weiterentwicklung frühsozialistischer Ideen, v. a. der Konzeptionen Fouriers und P. J. Proudhons. A. I. Herzen propagierte eine Verbindung von westlichem Sozialismus und bäuerlicher russischer Dorfgemeinde (Mir, Obschtschina). Von N. G. Tschernyschewski übernahm die Narodniki-Bewegung der 1870er-Jahre, die sich zu einer föderalistischen Internationale und zu »Anarchie und Kollektivismus« bekannte, die Vorstellung, dass eine Revolution Russland den Kapitalismus ersparen und den direkten Übergang zum Sozialismus ermöglichen könne. Demgegenüber hielt G. W. Plechanow, Führer der sich seit den 1880er-Jahren formierenden russischen Marxisten, den Kapitalismus in Russland bereits für so stark, dass die Hoffnung auf eine sozialistische Transformation der Dorfgemeinde illusionär sei.

Weltgeschichtliche Bedeutung erlangte die Umformung der marxistischen Lehre durch Lenin zum Marxismus-Leninismus, dem zufolge der Kapitalismus in die Phase des Imperialismus eingetreten sei, in dem die Konkurrenz durch die Monopole und der bürgerliche Liberalismus durch Rassismus und Chauvinismus abgelöst worden seien. Ein Teil der Arbeiterbewegung (Arbeiteraristokratie) in den entwickelten kapitalistischen Ländern habe sich aufgrund dieses tradeunionistischen Bewusstseins dem Reformismus zugewandt, sodass sich die Chancen für den Ausbruch der Revolution an die Peripherie des kapitalistischen Weltsystems verschoben hätten. Russland erscheint in dieser Analyse als die »Brücke« zwischen der »asiatisch-antiimperialistischen« und der »europäisch-proletarischen« Revolution. Damit rechtfertigte Lenin den Beginn der proletarischen Weltrevolution in dem relativ rückständigen Russland, zumal bald darauf die Revolution in den entwickelteren Staaten folgen werde.

Die zweite entscheidende Veränderung des Marxismus nahm Lenin bereits 1902 mit seiner voluntaristischen Parteitheorie vor: Eine als »Partei neuen Typs« organisierte kommunistische Avantgarde müsse Klassenbewusstsein in die Arbeiterklasse hineintragen und diese politisch führen. Diese Partei solle – unter den Bedingungen der Illegalität – eine hierarchisch gegliederte und militärisch disziplinierte »Kaderpartei« von Berufsrevolutionären sein. Die Minderheit habe sich der Mehrheit unterzuordnen. Die Beschlüsse der höheren Instanzen seien für die unteren verbindlich. Die Kombination dieser Prinzipien wurde als demokratischer Zentralismus bezeichnet. In der Praxis bildete sich jedoch ein »bürokratischer Zentralismus« heraus, nachdem zunächst andere Parteien und 1921 dann auch die Bildung von Fraktionen und Plattformen innerhalb der Partei verboten worden waren.

Seit Lenin waren allen Spielarten des Kommunismus folgende Merkmale gemeinsam: 1) der Marxismus-Leninismus als verpflichtende Weltanschauung; 2) eine auf der Vergesellschaftung beziehungsweise Verstaatlichung aller Produktionsmittel fußende Wirtschafts- und Sozialordnung, die (in der Regel) zentral gelenkt wird; 3) ein Herrschaftssystem, das die leninistische Kaderpartei als bewusste Vorhut des Proletariats im revolutionären Zu- beziehungsweise Vorgriff errichtet und als höchster und entscheidender Machtträger, als Verkörperung der Diktatur des Proletariats zur Vollendung des Sozialismus und Kommunismus weiterentwickelt.

Bestimmend für die weitere Entwicklung des Kommunismus seit der Oktoberrevolution war, dass die UdSSR bis 1945 das einzige kommunistisch regierte Land blieb (wenn man von der 1921 gegründeten, völlig von Moskau abhängigen Mongolischen Volksrepublik absieht). Die in den übrigen Ländern meist durch Abspaltung von den Sozialisten entstandenen kommunistischen Parteien wurden 1919 in der Kommunistischen Internationale (Komintern) zusammengefasst; sie gelangten seit Mitte der 1920er-Jahre in völlige Abhängigkeit von der sowjetischen Partei und hatten in erster Linie den Interessen der sowjetischen Außenpolitik zu dienen. Für ihr eigenes Land verfolgten die sowjetischen Kommunisten eine Politik der raschen und umfassenden Industrialisierung, die mit Sozialismus als unmittelbarer Vorstufe des Kommunismus gleichgesetzt wurde. Lenin hatte 1920 die Parole ausgegeben: »Kommunismus = Sowjetmacht + Elektrifizierung des ganzen Landes«; Stalin verkündete 1925 dann den Aufbau des »Sozialismus in einem Lande«. Die Naherwartung eines revolutionären Flächenbrandes in den fortgeschrittenen Gesellschaften Europas wurde damit aufgegeben.

In drei großen Etappen – Kriegskommunismus (ab 1918), Neue Ökonomische Politik (ab 1921) und Revolution von oben (ab 1928/29) – vollzog sich ein gewaltiger Umwälzungsprozess der sowjetischen Gesellschaft, der von exzessiver Gewaltanwendung begleitet wurde. Es entstand eine neue, wiederum durch wirtschaftliche und soziale Ungleichheit gekennzeichnete Klassengesellschaft und ein riesiger bürokratischer Funktionärsapparat, der eine neue Zwangsverwaltung darstellte. Zugleich mündete die Einparteidiktatur Lenins in die terroristische Einmanndiktatur Stalins (Stalinismus). Der totalitäre Grundzug im sowjetischen System verfestigte sich. Die Kollektivierung der Landwirtschaft seit Ende der 1920er-Jahre wurde unter ungeheuren Opfern der Bevölkerung (Hungersnöte, Vernichtung der Kulaken) gewaltsam durchgesetzt. Nachdem es Stalin bereits 1924–29 gelungen war, seine Konkurrenten, wie L. D. Trotzki, aus dem politischen Leben auszuschalten, wurden viele Altbolschewiki während der Großen Tschistka (1935–39) in Schauprozessen wegen »antisowjetisch-trotzkistischer« Tätigkeit verurteilt und hingerichtet. Gewalt und Terror sollten den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft beschleunigen, vernichteten tatsächlich jedoch die menschlichen Ressourcen, die dafür erforderlich gewesen wären.

Als Ergebnis des Zweiten Weltkriegs gewann die UdSSR die von der Roten Armee besetzten Gebiete in Ost- und Mitteleuropa als Einflussbereich. Zwar gestand sie den besetzten Ländern Ost- und Mitteleuropas (Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Tschechoslowakei, Polen, sowjetisch besetzte Zone Deutschlands) zunächst einen eigenen, nationalen Weg zum Sozialismus auf der Basis von Volksfrontbündnissen der kommunistischen Parteien mit den anderen Parteien zu, doch spätestens 1948, seit dem Konflikt Stalins mit der jugoslawischen Partei unter J. Tito, die aus eigener Kraft – wenn auch nicht demokratisch legitimiert – die Macht übernommen hatte, war offensichlich, dass der Aufbau des Sozialismus in Ost- und Mitteleuropa nach sowjetischer Weisung erfolgen sollte. Vorausgegangen war zumeist eine Zwangsvereinigung der sozialistischen mit der kommunistischen Partei. Auch die chinesische KP, die nach ihrem Sieg im Bürgerkrieg 1949 die Macht im Lande übernahm, erkannte (wie Nord-Korea) das sowjetische Modell zunächst als verbindlich an.

Im Zusammenhang mit der Verurteilung der persönlichen Diktatur Stalins durch N. S. Chruschtschow auf dem XX. Parteitag der KPdSU (Februar 1956) wurde die Diskussion über die Anerkennung eigener nationaler Wege zum Sozialismus neu entfacht (u. a. Reformkommunismus), was schwere Erschütterungen im europäischen Machtbereich der UdSSR (1956 Polnischer Oktober, Ungarischer Volksaufstand; 1968 Prager Frühling) und im internationalen Kommunismus verursachte. Der Führungsanspruch der KPdSU im Weltkommunismus wurde zuerst 1956 von der KP Italiens unter P. Togliatti infrage gestellt. Die italienische KP, die dann gegen die militärische Beendigung des Prager Frühlings 1968 durch die Sowjetunion protestierte, war auch die treibende Kraft bei der Herausbildung des Eurokommunismus, der eine sozialistische Gesellschaftsordnung mit Grundrechten, Parteienpluralismus und dem Recht auf Opposition anstrebte. Seine beiden wichtigsten Träger waren die italienische und die spanische KP, während die französische KP das Konzept nur halbherzig mittrug. Die wichtigste Grundlage eines politischen Spielraums für einzelne kommunistische Parteien bildete der seit 1957/58 schwelende, 1963/64 zum offenen Bruch führende sowjetisch-chinesische Konflikt. 1958/59 scheiterte der Versuch Mao Zedongs, mithilfe der Volkskommunen in einem »Großen Sprung nach vorn« den Weg zum Kommunismus im Allgemeinen und den Vorsprung der UdSSR im Besonderen zu verkürzen. Umgekehrt charakterisierte die chinesische KP die sowjetische Form des Kommunismus seit Mitte der 1960er-Jahre als »Revisionismus« und »Großmachtimperialismus«. Während Chruschtschow auf dem XXI. Parteitag der KPdSU 1961 die »Periode des entfalteten Aufbaus der kommunistischen Gesellschaft« verkündete (die Basis dafür sollte bis 1980 erreicht sein), legten sich seine Nachfolger nicht auf ein solches Ziel fest. Neue gesellschaftspolitische Devise war es nun, dass sich die Sowjetunion in der »Epoche des entwickelten Sozialismus« befinde. Dieser galt (nach der Theorie von der »entwickelten sozialistischen Gesellschaft«) als eine gesetzmäßige Etappe auf dem Weg zum Kommunismus. Die ideologisch-machtpolitische Rivalität zwischen der UdSSR und China wirkte sich auch in der Dritten Welt aus, wo sie in den nach der Entkolonialisierung unabhängig gewordenen Staaten im Wettbewerb mit den westlichen Industriestaaten standen. Die UdSSR suchte unter L. I. Breschnew (1964–82) das Bündnis mit nationalen Befreiungsbewegungen, die ihre Länder aus kolonialer und nachkolonialer Abhängigkeit lösen wollten, womit sie zugleich ihre politisch-militärische Position als Weltmacht stärken wollte. In den 1970er-/80er-Jahren wurde der Kommunismus sowjetischer Prägung zum Exportmodell für Staaten der Dritten Welt, insbesondere Afrikas (Angola, Äthiopien, Mosambik). Es gelang aber nicht, die Menschen von der Idee des Kommunismus zu überzeugen. Das kommunistische China konnte demgegenüber auf seine den Entwicklungsländern vergleichbare Lage verweisen. In der chinesischen KP selbst kam es jedoch immer wieder zu schweren Erschütterungen. Mao Zedong suchte Mitte der 1960er-Jahre mit der von ihm ausgelösten »Kulturrevolution« das erstarrte kommunistische System in Bewegung zu bringen und verlorene ideologische wie machtpolitische Positionen zurückzugewinnen. Die Folge der Kulturrevolution waren schwere wirtschaftliche Rückschläge und eine tiefe Zerrüttung der Gesellschaft. Der damals entmachtete Vertreter der »Pragmatisten« Deng Xiaoping, nach dem Tod Mao Zedongs (1976) 1977 rehabilitiert, stieg zum führenden Politiker Chinas auf. Dass sein Konzept der Liberalisierung und der Öffnung gegenüber dem Westen nur für den wirtschaftlichen Sektor (Förderung privater Kleinunternehmen, Stärkung der Marktkräfte) galt, nicht jedoch für den politischen Bereich, wurde zuletzt bei der blutigen Niederschlagung der Massendemonstrationen im Juni 1989 deutlich.

Unter Breschnew stagnierte das politische, sozioökonomische und kulturelle Gefüge der UdSSR; es setzte schließlich ein Verfall ein. Zwar wurde außenpolitisch eine Politik der Entspannung eingeleitet, aber innenpolitisch kein »Tauwetter« geduldet, auch nicht im sowjetischen Machtbereich (Breschnew-Doktrin). Die Nichtgewährung demokratischer Grundrechte und der Versuch, den Einfluss der kommunistischen Parteien und ihrer Ideologie in allen Lebensbereichen (gewaltsam) durchzusetzen, hatten in den 1970er- und 80er-Jahren zur Abkehr vieler Menschen vom kommunistischen System und zum Rückzug in die Privatsphäre geführt. Andererseits waren trotz der auf dem Informationsmonopol des Staates beruhenden, zielgerichteten ideologischen Beeinflussung der Bevölkerung und des rücksichtslosen, teilweise brutalen Vorgehens der Geheimdienste in allen kommunistisch regierten Staaten Bürger- beziehungsweise Bürgerrechtsbewegungen entstanden, deren Kampf um Freiheit und Menschenrechte v. a. von der Gewerkschaftsbewegung (Polen) und kirchlichen Gruppen (DDR) getragen wurde, die sich aber auch eigenständig profilieren konnten (ČSSR, Ungarn). Zusätzlich motivierende Impulse erhielt diese Entwicklung seit Mitte der 70er-Jahre durch die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) sowie seit Mitte der 80er-Jahre durch die Reformbestrebungen innerhalb der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Den Reformern innerhalb der kommunistischen Parteien gelang jedoch keine Revitalisierung der kommunistischen Ideen mehr.

Der Amtsantritt M. S. Gorbatschows als Generalsekretär der KPdSU (1985) bedeutete für den Kommunismus einen Einschnitt. Der Versuch, den Kommunismus grundlegend zu reformieren und ein »neues politisches Denken« zu installieren, führte zu seinem faktischen Ende. Gorbatschow wollte durch »Glasnost« und »Perestroika« die Gesellschaft, speziell die Wirtschaft, im Rahmen des Kommunismus leistungsfähiger gestalten. Doch der Reformprozess, der eine Eigendynamik entwickelte, verschärfte die Krise, zumal Gorbatschow die Nationalitätenkonflikte in der UdSSR unterschätzt hatte. Die Liberalisierung führte zu einem wachsenden Pluralismus. Faktisch wurde der Weg der anderen kommunistischen Länder zu mehr Eigenständigkeit und Freiheit anerkannt. Durch die Veränderungen in der Sowjetunion war eine Entwicklung in Gang gesetzt worden, die im Herbst 1989 zum Ende der kommunistischen Staaten Osteuropas führte, zum Teil allmählich, zum Teil plötzlich. Die Öffnung der Berliner Mauer (als Teil des »Eisernen Vorhangs«) am 9./10. 11. 1989 symbolisierte das Ende des Kommunismus. Auch wenn der Systemwechsel in den einzelnen Ländern unterschiedlich ausfiel – in einigen sozioökonomisch rückständigen Ländern wie Bulgarien und Rumänien kam es zunächst zu einem gleitenden Systemwandel –, wurde das Machtmonopol der jeweiligen kommunistischen Partei gebrochen.

Damit hatten die osteuropäischen Staaten innerhalb kurzer Zeit die Sowjetunion überholt, wo Gorbatschows »dritter Weg« für die einen nicht entschieden genug war, für die anderen dagegen zu weitgehend. Beim Putsch im August 1991 von führenden Kräften aus Geheimdienst, Militär und kommunistischer Partei gegen Gorbatschow leistete der vom Volk gewählte russische Präsident B. N. Jelzin den Putschisten erfolgreich Widerstand. Er untersagte die Aktivitäten der KPdSU und löste die Partei auf. Was die Putschisten verhindern wollten, hatten sie beschleunigt – das Ende des Kommunismus. Kurz vor der Auflösung der Sowjetunion gab der innenpolitisch isolierte Gorbatschow am 25. 12. 1991 sein Amt als sowjetischer Staatspräsident auf. Der flächenmäßig größte kommunistische Staat war an seinen inneren Schwächen zugrunde gegangen.

Das »Ende der Illusion« (F. Furet) über den Kommunismus bestimmte die revolutionären Umbrüche 1989/90: Keine Gruppierung strebte mehr nach einem »wahren Kommunismus« wie 1968 die ČSSR. Selbst die ehemals kommunistischen Parteien benannten sich vielfach um und verfolgten nun häufig einen sozialdemokratischen Kurs. Die kommunistische Partei in Russland ist nach beträchtlichen Wandlungen freilich nach wie vor ein politischer Faktor.

Die Umgestaltung der ehemals kommunistischen Staaten warf gravierende Probleme auf. In ihnen mussten mehrere Aufgaben gleichzeitig gelöst werden: die Etablierung einer demokratischen Verfassungsordnung, die Einführung eines marktwirtschaftlichen Gefüges, die Erneuerung oder Neuentwicklung »zivilgesellschaftlicher« Muster und die Eindämmung aufflammender Nationalitätenkonflikte. Auch wenn in einigen Staaten ehemals kommunistische Parteien erneut in die Regierung gelangten, wurde der inzwischen eingeführte politische Pluralismus ebenso wenig rückgängig gemacht wie die Marktwirtschaft.

Der Kommunismus hat zwar in einigen unterentwickelten Ländern für eine wirtschaftliche Konsolidierung gesorgt und das Erziehungswesen ausgebaut (z. B. Alphabetisierung der Bevölkerung), allerdings um einen hohen Preis: Parteisäuberungen, Massenexekutionen von tatsächlichen und vermeintlichen Gegnern, Massendeportationen, Arbeitslager, Bürgerkriege und Hungersnöte (insgesamt werden die Opfer auf etwa 50 Mio. Menschen geschätzt). Gleichzeitig wurden zivilgesellschaftliche politische Kulturen zerstört oder deren Entwicklung blockiert. Entscheidend für das Scheitern war aber, dass sich das ökonomische System der kommunistisch regierten Staaten Europas als nicht effizient erwiesen hatte. Durch eine streng zentralisierte staatliche Kommandowirtschaft und dogmatische Leitung aller gesellschaftlichen Prozesse wurden Initiativen jeder Art unterdrückt; zusätzlich hemmend wirkte sich die Erhebung des Kollektivismus zur quasi Staatsdoktrin aus (Vorrang des Kollektivs vor dem Einzelnen). Auch in der Nach-Stalinzeit hielt man an der Negierung des Pluralismus fest, an der Fixierung auf eine utopische Ideologie sowie an der Mobilisierung der Massen, die allerdings immer mehr den Glauben an die kommunistische Ideologie verloren hatten.

Immerhin hat der Kommunismus – wenn auch wider Willen – zu Reformen in den demokratischen Verfassungsstaaten beigetragen (z. B. im sozialen Sektor), die dort eine kommunistische Massenbasis verhindern sollten. Heute bestehen kommunistisch geführte Gesellschaftssysteme v. a. noch – mit Einschränkungen – in der VR China, in Kuba, in Nord-Korea, in Vietnam und in Laos. Das Scheitern der ökonomisch ineffizienten Planwirtschaft und die totalitäre Repression mit Millionen von Todesopfern haben den Kommunismus als Herrschaftsform und Modell einer utopischen Gesellschaftsordnung zwar nachhaltig diskreditiert, gleichwohl leben kommunistische Ideen bei Gegnern der Globalisierung und antikapitalistischen sozialen Bewegungen weiter. Weiterführende Literatur:

O. K. Flechtheim: Bolschewismus. 1917–1967 (1967);

W. Leonhard: Was ist Kommunismus? (Neuausgabe 1978);

W. Hofmann: Ideengeschichte der sozialen Bewegung des 19. u. 20. Jahrhunderts (61979);

W. Leonhard: Eurokommunismus (Neuausgabe 1980);

Stalinismus, hg. v. G. Erler u. a. (1982);

E. Nolte: Marxismus u. industrielle Revolution (1983);

Lexikon des Sozialismus, hg. v. Thomas Meyer u. a. (1986);

Pipers Handbuch der politischen Ideen, hg. v. I. Fetscher u. H. Münkler, Bd. 5 (1987);

K. Kellmann: Die kommunistischen Parteien in Westeuropa (1988);

Z. Brzezinski: Das gescheiterte Experiment. Der Untergang des kommunistischen Systems (aus dem Englischen, Wien 1989);

I. Fetscher: Der Marxismus (51989);

W. Leonhard: Dämmerung im Kreml (Neuausgabe 1990);

G. Stern: The rise and decline of international communism (Aldershot 1990);

T. Garton Ash: Ein Jahrhundert wird abgewählt (aus dem Englischen, Neuausgabe 21993);

W. Lerner: A history of socialism and communism in modern times (Englewood Cliffs, New Jersey, 21993);

M. Waller: The end of the communist power monopoly (Manchester 1993);

G.-J. Glaeßner: Kommunismus, Totalitarismus, Demokratie (1995);

S. Courtois u. a.: Das Schwarzbuch des Kommunismus, 2 Bde. (aus dem Französischen u. Russischen, 1998–2004);

F. Furet: Das Ende der Illusion. Der Kommunismus im 20. Jahrhundert (aus dem Französischen, Neuausgabe 1999);

D. Childs: The two red flags. European social democracy and Soviet communism since 1945 (London 2000);

G. Koenen: Utopie der Säuberung. Was war der Kommunismus? (2000);

D. F. Busky: Communism in history and theory. From utopian socialism to the rise and fall of the Soviet Union (Westport, Connecticut, 2002);

N. Werth: Ein Staat gegen sein Volk. Das Schwarzbuch des Kommunismus. Sowjetunion (aus dem Französischen, Neuausgabe 2002);

R. Pipes: Kommunismus (aus dem Englischen, 2003);

E. Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts (aus dem Englischen, 82007);

R. Service: Comrades! A history of world communism (Cambridge, Massachusetts, 2007);

D. Priestland: Weltgeschichte des Kommunismus. Von der Französischen Revolution bis heute (aus dem Englischen, 2009);

A. Brown: Aufstieg u. Fall des Kommunismus (aus dem Englischen, 2009);

G. Koenen: Was war der Kommunismus? (2010);

Das Handbuch des Kommunismus. Geschichte – Ideen – Köpfe, hg. v. S. Courtois (aus dem Französischen, 2010),

E. Hobsbawm: Wie man die Welt verändert. Über Marx u. den Marxismus (aus dem Englischen, 2012);

The Oxford handbook of the history of communism, hg. v. S. A. Smith (Oxford 2014). - Jahrbuch:

Jahrbuch für historische Kommunismusforschung (1993 ff.).

Advertisement