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Neuzeit, Bezeichnung für die an das Mittelalter anschließende und bis in die Gegenwart reichende Epoche.

Begriffsinhalt: Der Begriff wurde schon im 15. Jahrhundert verwendet, ist als Periodisierungsbegriff allgemein üblich geworden und wie die Begriffe Alte und Mittlere Geschichte (Altertum, Mittelalter) aus der europäischen Geschichte abgeleitet (Europa, Geschichte). Insofern aber der geschichtliche Raum Europas sich im 15. Jahrhundert durch die Entdeckungsfahrten der Portugiesen und Spanier erweiterte, kann der Begriff Neuzeit auch als Bezeichnung einer neuen Phase in der menschlichen Geschichte angesehen werden und hat dann allgemeinere Bedeutung.

Zeitliche Eingrenzung und Periodisierung: Lange Zeit sind die Entdeckung Amerikas 1492 und der Beginn der Reformation M. Luthers 1517 als Anfang der Neuzeit betrachtet worden. Doch waren bereits vor diesen Zeitpunkten wichtige Grundzüge des neuen Zeitalters erkennbar geworden: 1) war der Schriftlichkeitsgrad der europäischen Kultur durch eine starke Zunahme des schriftlichen Verkehrs (Akten und Briefe) und durch die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern um 1450 angestiegen (nur so konnte auch der Humanismus als säkulare Bewegung in neue Kreise eindringen); 2) war der höhere Schriftlichkeitsgrad der Kultur selbst wieder nur Ausdruck einer kulturellen Leistung des Bürgertums, dessen Wohlstand, Produktions- und Geschäftstechniken eine Frühform des modernen Kapitalismus herbeiführten, der für die Neuzeit von zentraler Bedeutung geworden ist; 3) stellte Europa schon in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts ein geschlossenes Staatensystem dar, dessen einzelne Mitglieder Staatswesen auf der Grundlage effektiverer Herrschafts- und Verwaltungsapparate ausgebildet hatten oder im Begriff standen, dies zu tun.

Die neuere historische Forschung hat den Beginn der Neuzeit daher auf die Mitte des 15. Jahrhunderts oder doch auf eine »Schwellenzeit« zwischen 1450 und 1500 angesetzt, gekennzeichnet insbesondere von Prozessen der Herrschaftsverdichtung. Sie ist damit wieder zu einem Periodisierungseinschnitt zurückgekehrt, den schon P. Melanchthon vorgeschlagen hatte, als er den Beginn der Renaissance als Anfang der Moderne mit dem Fall Konstantinopels 1453 einsetzen ließ. Durch die Flucht der damals vertriebenen griechischen Gelehrten nach Italien blühte hier der Humanismus als große Bewegung auf. Ein zweiter Gesichtspunkt war für Melanchthon die auf dem Konzil von Ferrara und Florenz 1439 bereits angebahnte Union mit den Griechen, die durch den Zustrom griechischer Theologen und Humanisten nach 1453 noch verstärkt wurde. Die Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen war für die neuere Geschichte Europas unter folgenden Gesichtspunkten wichtig: Zum einen wurde nun Russland zur Schutzmacht der orthodoxen Christen des Ostens, zum anderen bewirkte die Sperrung der Landwege des Indienhandels durch die Osmanen nicht nur den allmählichen Niedergang Venedigs, sondern auch eine wachsende Bedeutung der portugiesischen und spanischen Seefahrer, die auf vielerlei Routen den Seeweg nach Indien suchten und auf dieser Suche unter der Leitung von C. Kolumbus 1492 Amerika entdeckten. Diese Vielfalt der Neuansätze charakterisiert die Übergangsphase vom Mittelalter zur Neuzeit, in der im Verlauf einiger Jahrzehnte die meisten Lebensbereiche des europäischen Menschen grundlegend verändert wurden.

Große Bedeutung hatte der geistige Wandlungsprozess, der durch den Humanismus und seine Rückbesinnung auf die Antike in Gang kam und der in seiner langfristigen Wirkung zu einem kritischen Bewusstsein und zu einer säkularisierten Auffassung des Christentums bei bestimmten intellektuellen adligen und bürgerlichen Schichten geführt hat. Diese Säkularisierung kam auch in der abnehmenden Bedeutung der Geistlichkeit zum Ausdruck, die das kulturelle Leben im Mittelalter stark geprägt hatte; an der kirchlichen Praxis wurde um 1500 massiv Kritik geübt, auch aus den Kreisen der (deutschen) Humanisten. Die von den Humanisten entwickelten Regeln der philologisch-kritischen Textanalyse führten zu den ersten textkritischen Ausgaben des Neuen Testaments, die zum Teil große Bedeutung gewannen, besonders für Luther. Trotzdem hängen Humanismus und Reformation nicht unmittelbar zusammen (Erasmus von Rotterdam hielt an der alten Kirche fest). Beide haben aber die Einheit der mittelalterlichen Kirche aufgehoben. An die Stelle der »Res publica christiana« des Mittelalters trat das moderne europäische Staatensystem.

Dieses Staatensystem war eine weitere Grundlage der Neuzeit. Sowohl in Europa als auch in Übersee markierte dabei erstmals das Jahr 1494 einen Einschnitt, an dem ein globales Mächtesystem erkennbar wurde, das seither in vielen Wandlungen die Neuzeit bestimmt hat. Ein ökonomisches Weltsystem bildete sich heraus. Für die überseeischen Gebiete, die zunächst v. a. von den Portugiesen und Spaniern beherrscht wurden, legte Papst Alexander VI. in einem Rechtsspruch 1493, sodann ein zwischen Spanien und Portugal geschlossener Vertrag am 7. 6. 1494 fest, dass sie durch eine nordsüdliche Trennungslinie 370 Meilen westlich der Kapverdischen Inseln in eine östliche, zu Portugal gehörige Hemisphäre und in eine westliche, spanische Hälfte geteilt sein sollten. Doch hatte dieser Spruch durch das baldige Auftreten der protestantischen Seemächte Niederlande und England keinen Bestand. In Europa selbst war das inzwischen entstandene Mächtesystem erstmals 1494 anlässlich des Italienzuges des französischen Königs Karl VIII. deutlich in Erscheinung getreten: Karl VIII. meldete als Erbe der Anjou die französische Anwartschaft auf Neapel an, die er zuvor in Verträgen mit England, Spanien und den Habsburgern 1492/93 diplomatisch abzusichern versucht hatte. Als aber sein Einrücken in Italien zum Zusammenbruch des inneritalienischen Staatensystems führte, vereinigten sich die übrigen Mächte gegen Frankreich, um das Gleichgewicht in Italien wiederherzustellen.

Die Entwicklung in Italien an der Schwelle zur Neuzeit[]

In den Kämpfen um Italien ist das moderne europäische Staatensystem zu einem ersten Abschluss gelangt. Italien war zu jener Zeit nicht nur reich, sondern hatte in seinen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen wie wirtschaftlichen Verhältnissen bereits einen Entwicklungsgrad erlangt, der in vielem für die Neuzeit allgemein kennzeichnend wurde. Der fortgeschrittene Grad der politischen Verhältnisse in Italien bestand aber nicht in der äußeren Macht der fünf Mittelstaaten (Mailand, Florenz, Venedig, Kirchenstaat, Neapel), die sich zum Teil gegenseitig neutralisierten, sondern in der neuen Gestaltungsmethode der Beziehungen zwischen diesen mittleren Mächten, auch in ihrer modernen sozialen und wirtschaftlichen Verfassung im Innern. Der moderne Gedanke des Mächtegleichgewichts in den äußeren Beziehungen ist zuerst im Italien des 15. Jahrhunderts zu einer Theorie entwickelt worden. Der Friede von Lodi (1454), in dem die italienischen Verhältnisse zu einem gewissen Gleichgewichtszustand geführt worden waren, galt in der Folge als Musterbeispiel einer auswärtigen Balancepolitik.

Der für die Neuzeit charakteristische Zug zu tendenziell verstärkter Zweckrationalität, wie er in diesen Methoden der Gestaltung auswärtiger politischer Beziehungen zum Ausdruck kam, erwuchs aber auch aus dem gewandelten Denk- und Arbeitsstil, wie er sich schon zu Anfang des 15. Jahrhunderts in den italienischen Stadtgemeinden herausgebildet hatte. Vor allem in Venedig und Florenz, zum Teil auch in Mailand, Rom und Neapel wurde ein hoher Stand der Handels- und Wirtschaftstechniken erreicht, der selbst wiederum das Ergebnis einer stärkeren Rationalisierung und Mathematisierung der Handels- und Gewerbetätigkeit war. Die Voraussetzung hierfür war die Übernahme der arabischen Ziffern, die in Italien schon im 14. Jahrhundert vollzogen wurde. Von dieser neuen Grundlage aus entwickelte sich in Italien (zuerst in Venedig) das handelsgeschäftliche Verfahren der doppelten Buchführung. Träger dieser rationellen Wirtschaftspraxis war die städtische Oberschicht, die besonders in Florenz auch den technischen Stand des Handwerks und der Gewerbe, v. a. der Textilherstellung, beträchtlich weiterentwickelte. Auch in Flandern gab es zu dieser Zeit schon ein hoch entwickeltes Textilgewerbe und moderne Wirtschaftstechniken. Die Besonderheit der italienischen Entwicklung lag in der engen Verbindung des Wirtschaftslebens mit der Politik und in den Beziehungen der oberen bürgerlichen Gesellschaftsschichten zu den Gelehrten, v. a. zu den Humanisten der Zeit.

Die gesellschaftlich-ökonomische Verfassung von Florenz war durch die zum Teil noch spätmittelalterliche Struktur des Zunftwesens, andererseits aber auch durch das moderne Element der frühkapitalistischen Bankherren geprägt. Beide Komponenten wirkten in der politischen Verfassung von Florenz zusammen. Wenn das florentinische Patriziertum (hervorgegangen aus den sieben »oberen« Zünften) auch nicht so exklusiv war wie der venezianische Adel in seiner »Republik«, so vergrößerte sich doch die Kluft zu den 14 »unteren« Zünften im 15. Jahrhundert immer mehr. Eigentlich waren es die führenden Familien, die die – wenn auch ohne das Heer der 30 000 bis 40 000 Manufakturarbeiter und deren Arbeitskraft undenkbare – frühe Entwicklung von Florenz getragen haben. Auch die fortgeschritteneren Staaten der frühen Neuzeit blieben noch durch diese politische Struktur gekennzeichnet. – Die führenden Geschlechter waren es auch, die den kulturellen Aufschwung der Renaissance in Italien beträchtlich förderten. Die Verbindung von Staatsamt und Gelehrtendasein war ein wichtiges Kennzeichen dieser ersten Phase einer neuen Zeit. Der Geist analytisch-wissenschaftlicher Betrachtung wurde sowohl auf die neue Kunst als auch auf die Welt der Politik angewendet. Die Realität der innerstaatlichen Machtkämpfe der Parteien und das komplizierte Geflecht der auswärtigen Beziehungen des 15. Jahrhunderts sind von N. Machiavelli zuerst analysiert und in einer Theorie abgebildet worden. Die moderne Idee der Staatsräson wird der Sache nach in seiner 1513 entstandenen Schrift »Il principe« (gedruckt 1532) begründet. Die Politik wurde hier erstmals als autonom betrachtet. Die Moral des Herrschers (»virtù«) wurde nicht an einen ethischen Tugendkanon gebunden, sondern an die Fähigkeit zur Gewinnung und Erhaltung von politischer Macht als Voraussetzung für einen stabilen Staat. Diese Zweckrationalität einer autonomen Politik hat die politische Theorie der Neuzeit, aber auch die Politik selbst nachhaltig bestimmt.

Eine gleichsam mechanistische Betrachtung auch der politischen Verhältnisse, wie sie später T. Hobbes versuchte, wurde durch den starken Aufschwung der Naturwissenschaften nahegelegt. Die Entdeckungsfahrten bestätigten die Lehre von der Kugelgestalt der Erde. Das heliozentrische System wurde von N. Kopernikus 1543 auch astronomisch untermauert (»kopernikanische Wende«). Die Einheit der Welt und der Wissenschaft, wie sie die Neuzeit dann zunehmend bestimmt hat, hat zur Durchsetzung des neuen heliozentrischen Weltbildes geführt.

Politische, gesellschaftliche und geistige Grundzüge[]

Die Geschichte der Neuzeit ist außenpolitisch die Geschichte von Staatensystemen, in denen sich auch die gesellschaftliche und geistige Entwicklung vollzog. Dabei ist es von grundlegender Bedeutung gewesen, dass sich diese Systeme überwiegend als Ordnungen von Nationalstaaten bildeten und zum Teil noch heute bilden. Die europäischen Staaten der Neuzeit sind meist als Nationalstaaten aufgetreten oder haben sich doch überwiegend eine nationale Interpretation gegeben. Die Wurzeln hierzu lagen schon im Spätmittelalter, die Verwirklichung des Nationalstaates wurde z. B. in England oder Frankreich im 14. Jahrhundert erreicht, in Spanien im 15. Jahrhundert, in Italien und Deutschland erst in den nationalen Einigungen des 19. Jahrhunderts.

Der moderne Begriff Nation ist zum Teil eng mit dem für die neuzeitliche Staatengeschichte zentralen Begriff der Souveränität verbunden. Am Beginn der Neuzeit war es in Frankreich, England und Spanien, wo sich schon im 14./15. Jahrhundert ein nationales Königtum und eine Nationalkirche entwickelt hatten, kaum umstritten, dass der Träger der Souveränität – abgesehen von gewissen Einschränkungen, die für England zu berücksichtigen sind – das Königtum war. So hat es auch der Begründer der neuzeitlichen Souveränitätslehre, J. Bodin, gesehen. Doch während hier noch die Rechtfertigung der zentralen Herrschergewalt gleichzeitig eine Bindung an göttliches und Naturrecht bedeutete, ging T. Hobbes weiter und begründete die Lehre von der absoluten Gewalt des Souveräns, vor der es auch keine Glaubens- oder Gewissensfreiheit geben könne.

Neben diesen Theorien, die für die Herrschaftslegitimation des fürstlichen und monarchischen Absolutismus des 16.–18. Jahrhunderts wesentlich geworden sind, steht als zweite Entwicklungslinie die Idee vom Volksstaat, die Machiavelli in den zwischen 1513 und 1521 verfassten »Discorsi ...« (gedruckt 1531) beschrieben hat. Die Theorien der Monarchomachen verschoben den Primat der ordnungsstiftenden Staatsfunktion weg vom Monarchen und hin zu den (führenden) Ständen. Gemeinsam war diesen Politikentwürfen die Absicht, die konfessionellen Bürgerkriege zu überwinden (J. Althusius wird neuerdings als Autor dieses Brückenschlags interpretiert). Wenn die dahingehend entworfene Konzeption auch nicht im modernen Sinne als Demokratie bezeichnet werden kann, so bildete dieser Ansatz doch den Beginn einer neuzeitlichen Legitimationstheorie, die über die auf dem Gedanken der Volkssouveränität fußende Staatslehre von J. Locke zum Begriff der Volkssouveränität bei J.-J. Rousseau und zur modernen Lehre von der Gewaltenteilung bei Montesquieu geführt hat.

Diese Theorien waren zum Teil Deutungen einer tatsächlichen staatlichen und gesellschaftlichen Entwicklung der Neuzeit, die v. a. durch ein starkes emanzipatorisches Moment gekennzeichnet war. Dabei handelte es sich zunächst auch um eine Emanzipation des Bürgertums gegenüber dem Adel. Das Bürgertum war in der Stadtkultur und in der schnell wachsenden Geldwirtschaft der Neuzeit zu Reichtum und zu einer gewissen Macht gekommen. Der vom Bürgertum des 15. und 16. Jahrhunderts getragene Frühkapitalismus (Fugger, Welser, Medici; später im Adel aufgegangen) hat durch seine weitreichenden Handels- und Kapitalverbindungen den Welthandel und das Weltverkehrssystem der Neuzeit wesentlich mitbegründet. Diese Handelsmacht wurde seit dem 16. Jahrhundert durch ein besonderes Leistungs- und Wirtschaftsethos getragen, das eine eigentümlich säkularisierte Form der mittelalterlichen Askese darstellt und durch eine sparsame, kalkulierende und dem Luxus gegenüber zurückhaltende ökonomische Lebensführung gekennzeichnet ist. Diese Grundlinie wurde durch die Reformation zum Teil noch gestärkt. Das galt besonders für die calvinistischen Niederlande und England, später auch für die USA. In England kam ein wichtiges sozialgeschichtliches Phänomen hinzu: Die führenden Schichten des Bürgertums verschmolzen hier mit dem Kleinadel, weil der Adelstitel immer nur auf den ältesten Sohn überging. Die nachgeborenen Söhne mussten sich meist Handelsgeschäften zuwenden und heirateten oft Töchter von Bürgerlichen. Die dadurch eingetretene soziale Homogenität einer Mittelschicht war für die Entstehung der modernen parlamentarischen Demokratie und später auch für den Beginn der industriellen Revolution von zentraler Bedeutung. In Ostmitteleuropa, v. a. in Polen und Ungarn, war der Adel weniger sozial-exklusiv und umfasste in einigen Regionen bis zu 20 % der Bevölkerung, was für die politische Praxis dort große Bedeutung besaß.

Dennoch bedeutete die relativ starke Wirtschaftsmacht des Bürgertums noch nicht das Ende der seit dem Mittelalter bestehenden politischen Vorherrschaft des Adels und der Geistlichkeit. Die wirtschaftliche Potenz des Adels dieser Zeit darf zudem – jedenfalls in Mittel- und Osteuropa – nicht unterschätzt werden. Es ist die These vertreten worden, dass erst die politische und gesellschaftliche Umwälzung der Französischen Revolution von 1789 den eigentlichen Beginn der Neuzeit darstellte. Aufgrund der vielen Neuansätze allein schon zwischen 1450 und 1517 erscheint es jedoch richtiger, die Zäsur des Jahres 1789 als Kulminationspunkt und als Durchbruch einer ganzen Reihe von nationalstaatlichen, geistigen und gesellschaftlich-emanzipatorischen Tendenzen zu sehen, die in der modernen Entwicklung schon seit der Mitte des 15. Jahrhunderts angelegt waren (verschiedene »Modernisierungsschwellen«). Für die Übergangsphase (1750–1850) entwickelte R. Koselleck den Begriff der europäischen »Sattelzeit«.

Historische Gliederung[]

Das in der historischen Wissenschaft mit kleineren Abweichungen übliche Schema einer Gliederung der Neuzeit in eine Phase der frühen Neuzeit (etwa 1450–1650) und in eine die Zeit ab etwa 1650 umfassende »jüngere Neuzeit« ist eine Grobeinteilung. Dabei kommt der Zäsur des Jahres 1648 eine besondere Bedeutung zu. Der Westfälische Friede brachte das definitive Ende einer universalen Ordnungsvorstellung, die durch den religiösen Alleingeltungsanspruch des Papsttums und durch die universale Herrschaftsidee des römisch-deutschen Kaisertums gekennzeichnet war. Im Westfälischen Frieden wurden die beiden protestantischen Konfessionen, von denen die lutherische schon seit 1555 reichsrechtlich anerkannt war, in der Reichsverfassung legitimiert. Die zunächst religiös-konfessionellen Kampfanlässe waren seit 1635 (Prager Friede) immer mehr durch die immanenten Machtkräfte des europäischen Staatensystems überholt worden. Der Gegensatz zwischen Frankreich und dem Haus Österreich machte das Reich zum Schlachtfeld der europäischen Mächte (Dreißigjähriger Krieg). – Mit Verweis auf frühere Debatten (u. a. H. Freyer, 1948) diskutiert die Forschung Beginn und Ende der frühen Neuzeit (zum Teil erst 1789 angesetzt; auch die Religionssoziologie [E. Troeltsch] vertrat die Auffassung, dass die Neuzeit erst nach den großen Religionskriegen des 17. Jahrhunderts anzusetzen sei) verstärkt in Zusammenhang mit der Frage nach dem Beginn der Moderne.

Die etwa um 1650 einsetzende jüngere Neuzeit, die mit einer Vorherrschaft Frankreichs in Europa begann, ist jedenfalls eine Zeit der Entfaltung wissenschaftlicher und gewerblich-merkantiler Neuerungen gewesen, die überwiegend vom Bürgertum getragen wurden und schließlich die gesellschaftliche und politische Emanzipation des Bürgertums eingeleitet haben. Besonders in der Staatstheorie J. Lockes sind diese Vorgänge zu einer Lehre von der konstitutionell eingegrenzten Monarchie verarbeitet worden. Lockes Lehre von der Gewaltenteilung zwischen der vorrangigen gesetzgebenden Gewalt, die beim Volk oder seinen Repräsentanten liegt, und der exekutiven Gewalt der Regierung wurde von Montesquieu 1748 durch eine unabhängige rechtsprechende Gewalt ergänzt. In dieser Form hat die Lehre von der politischen Gewaltenteilung die Verfassungen fast aller parlamentarischen Staaten der Neuzeit, zuerst die der USA von 1787 und die französische Verfassung von 1791, bestimmt.

Die Aufhebung der feudalen Privilegien in Frankreich 1789 zugunsten der bürgerlichen Gleichheit und Freiheit war vorbereitet durch die Philosophie des Rationalismus und der Aufklärung. In der den Rationalismus popularisierenden Aufklärungsliteratur war der Gedanke der kritischen Vernunft auch auf Gesellschaft und Staat gerichtet worden, bestärkt durch die Idee des Widerstandsrechts, die 1688 in England und 1776 in Amerika wirksam wurde. Der Kreis der Enzyklopädisten war für diese grundlegende Gedankenarbeit repräsentativ. Neue Wissenschaften wie Nationalökonomie, dann auch Soziologie und Psychologie wurden von immer größeren Kreisen mit Verständnis und Interesse aufgenommen. Die arbeitsteilige bürgerliche Leistungs- und Erwerbsgesellschaft förderte eine neue Funktionalität des Staatswesens, die darin bestand, dass der Staat nicht nur die Existenz seiner Mitglieder sichern, sondern auch Glück und Wohlfahrt des Individuums fördern sollte. Dabei sollten die Freiheitsrechte des Einzelnen möglichst geschützt sein. Dieser Liberalismus war nicht nur politisch, sondern auch gesellschaftlich und wirtschaftlich orientiert. Er führte zunächst aber nur zu größerer Macht der führenden Schichten des Bürgertums, nicht aber der übrigen bürgerlichen Gesellschaft und der unteren Volksschichten. Hieraus entwickelten sich jedoch später neue Kräfte, die nach 1789 immer mehr an Gewicht gewannen.

Wenn man die Französische Revolution von 1789 innerhalb der seit etwa 1650 zu rechnenden »jüngeren Neuzeit« als Beginn einer neueren Zeit bezeichnet, so war diese neue Phase auch durch die fast gleichzeitig einsetzende Industrialisierung bestimmt (»Doppelrevolution«, E. Hobsbawm), die von Großbritannien ausging und nach dem »französischen« sozusagen ein »britisches« Zeitalter einleitete. Die Mechanisierung der Produktion (1769 wurde J. Watt das Patent auf seine Dampfmaschine erteilt) setzte einen Prozess in Gang, der die gewerbliche Produktion durch den Übergang zur Industriewirtschaft im Verlauf des »langen 19. Jahrhunderts« vollkommen veränderte und das äußere Erscheinungsbild und die innere Struktur der Neuzeit grundlegend wandelte.

Die Einführung von Arbeits- und Antriebsmaschinen zwang zur Abschaffung des Zunftwesens und führte damit zu einer fundamentalen Veränderung der Arbeitsverfassung. Sie entlastete die menschliche Arbeitskraft, erschloss aber zugleich neue Möglichkeiten, Menschen als Arbeitskräfte einzusetzen. Nachdem G. Stephenson 1814 seine erste Lokomotive gebaut hatte, veränderte sich auch das Verkehrswesen grundlegend. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass die allgemeine Verwirklichung der bürgerlichen Revolutionsideen von 1789 im Zuge der industriellen Revolution zunächst einen starken Rückschlag erlitten hat. Freiheit und Gleichheit waren für die während der Industrialisierung entstandenen Massen des Proletariats kaum zu erreichen; die neue Klasse der Lohnarbeiter im freien Kapitalverhältnis musste sich erst organisieren, ehe der Kampf um die Verbesserung ihrer sozialen Situation Aussicht auf Erfolg haben konnte (Arbeiterbewegung). In der Erkenntnis dieser Notwendigkeit und in deren kritischer Begründung lag der wesentliche Unterschied zwischen der noch undifferenzierten Auffassung der Frühsozialisten sowie dem Anspruch von K. Marx, einen »wissenschaftlichen Sozialismus« begründet zu haben. Dieser setzte sich zum Ziel, die auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln fußende bürgerliche Gesellschaft durch den Sozialismus in Gestalt einer Diktatur des Proletariats und danach durch den Kommunismus (K. Marx: »Randglossen« zum Gothaer Programm) zu ersetzen. Die erwartete klassenlose Gesellschaft sollte durch die Selbstvernichtung des Kapitalismus entstehen. Diese Prognose wurde durch W. I. Lenins Programm der proletarischen Weltrevolution verändert. Die russische Oktoberrevolution von 1917 sollte der Anfang auf dem Weg zur Weltrevolution sein.

Der Sieg des Bolschewismus in Russland hat die Machtverhältnisse zwischen den großen Mächten stark verändert. Das Jahr 1917 bildet daher auch für eine Untergliederung der Neuzeit eine wichtige Zäsur, die durch die Revolutionen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa 1989/90 faktisch »eingeebnet« worden ist. Die Oktoberrevolution war der Beginn einer ideologischen Blockbildung zwischen Ost und West, die bis zum Fall der Berliner Mauer (1989) und zur Auflösung des Warschauer Paktes (1991) bestand (Ost-West-Konflikt). Diese neuartige Blockbildung wurde schon unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg deutlich. Aber dieser Krieg hat nach seinem Ende auch Entwicklungen freigesetzt, die auf eine allmähliche Emanzipation der vom Kolonialismus und Imperialismus der europäischen Mächte im 19. Jahrhundert erschlossenen und eroberten Überseegebiete hinausliefen. Eine wichtige Zäsur kam 1917 auch darin zum Ausdruck, dass die USA als Großmacht in den Weltkrieg eintraten und ihn praktisch sehr schnell entschieden. Das Schwergewicht der weltpolitischen Macht lag nicht mehr in Europa oder doch nicht mehr in Europa allein. Diese jüngeren historischen Entwicklungen bestimmen die neuere wissenschaftliche Diskussion über die Zäsuren von neuerer und neuester Geschichte.

Als Grundmodelle europäischer Gesellschaft mit spezifischen Problemkonstellationen sind (M. R. Lepsius) anzusehen: die kontinuierlich demokratische, zugleich klassenstrukturierte Industriegesellschaft (repräsentiert durch Großbritannien), das zentralistisch verwaltete Industriesystem mit hoher territorialer Konsistenz (repräsentiert durch Frankreich), das nichtdemokratisch-industrielle Mobilisierungsmodell mit einer daraus hervorgegangenen faschistischen Gegenrevolution (repräsentiert durch Italien und Deutschland) und das vordemokratisch-industrielle Mobilisierungsmodell (repräsentiert durch Russland). Die Geschichte der Neuzeit am Ende des 20. Jahrhunderts schließt für Europa die Frage ein: Was ist Europa – nach dem Verlust seiner weltpolitischen Geltung als globaler Regulierungsmacht – und was bedeutet diese Ausgangssituation für die nächste Stufe der europäischen Integration?

Zeitgeschichte und Grundlinien der Neuzeit[]

Man hat die »jüngste Phase der Neuzeit«, deren Beginn in der Geschichtsschreibung unterschiedlich gesetzt wird, auch als Zeitgeschichte bezeichnet. Jedoch ist dieser Begriff sehr stark an den Standpunkt der jeweils lebenden Generation und an die Epoche ihres Lebenszeitraums gebunden, sodass H. Rothfels den Begriff Zeitgeschichte als »die Epoche der Lebenden und ihre wissenschaftliche Behandlung« definiert hat.

So erweisen sich auch der Begriff Neuzeit und seine Untergliederungen als heuristische Begriffe, die gewisse Haupttendenzen des historischen Verlaufs seit etwa 1450 beschreiben sollen. Zu deren Grundlinien gehören die Entstehung des neuen Menschen- und Weltbildes und des modernen Staatensystems nationaler Staaten, das Prinzip der Staatsräson, die Säkularisierung, die zunehmende »Verschriftlichung« und »Verwissenschaftlichung« der Kultur, das Zeit-Empfinden, die schon am Beginn der Neuzeit einsetzende »Globalisierung« mit zunehmender ökonomischer Verflechtung, die industrielle Revolution, eine wirtschaftliche und politische Emanzipation des Bürgertums sowie dann auch zunehmend der Arbeiterschaft auf dem Weg zur modernen Industriegesellschaft. Deren traditionell gesetzte Grenzen erscheinen seit dem Übergang zum 21. Jahrhundert, mit der fortschreitenden Internationalisierung und Verflechtung der (Finanz-)Märkte und Volkswirtschaften, der Information und Kommunikation (Globalisierung), immer stärker durchbrochen und von der Entwicklung zu einer globalen Informationsgesellschaft aufgelöst.

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